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Gastbeitrag #1

04. August 2025, Katrin Bender - Gastbeiträge, Aktuelles

Vom Deuten der Deszendenz: Eine kontextuelle Perspektive auf den Ṛgveda | Anne Keßler-Persaud

Zu welcher Familie gehören die Nachkommen? Wer darf sich seiner Vaterschaft sicher sein? Die genealogische Zuordnung von Nachkommen und insbesondere die Frage der Paternität wird je nach Kultur, Epoche und Gesellschaftsschicht auf unterschiedliche Weise und auch unterschiedlich nachdrücklich determiniert. Im vedischen Kontext haben diese Fragen soteriologischen Stellenwert, denn hier bedeuten eigene Nachkommen die Unsterblichkeit eines Mannes oder sind eine Vorbedingung dieser religiösen Leistung.

Im Ṛgveda dürfte das Aushandeln der Patrilinie sogar zu den Schlüsselthemen zählen. Nachdem ich mich in meiner Dissertation mit dem Idealfall genealogischer Zuordnung befasst habe, wie er bei Sūryās Hochzeit (RV 10.85) realisiert wird, nehme ich in meinem in Vorbereitung befindlichen Projekt Hymnen des Ṛgveda in den Blick, die – jedenfalls meinen Arbeitshypothesen zufolge – von patrilinear problematischen Fällen handeln.

Ich erstelle sehr detaillierte Interpretationen der ausgewählten Hymnen. Für diese Deutungen sammle ich mithilfe digitaler Tools umfangreich Vergleichstextstellen zu jeder einzelnen Zeile des betreffenden Textes, werte diese aus und plane, diese Sammlungen als Forschungsdaten über VedaWeb sichtbar machen. Um anachronistische Deutungen zu vermeiden, begrenze ich meinen Analyse- und Argumentationsrahmen strikt auf den Ṛgveda. Auch die hermeneutischen Ergebnisse der zahlreichen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die sich seit Entstehen der Indologie mit den betreffenden Hymnen befasst haben, werte ich detaillierter aus als üblich. Mein so entwickeltes Gesamtverständnis weicht für die bisher bearbeiteten Hymnen deutlich von der communis opinio ab. Ich prüfe meine Deutungen an der sprachlichen Gestalt der betreffenden Hymne. Insbesondere die rhetorische und metrische Struktur sind hier hilfreiche Referenzen.

Mit dieser Methode kontextimmanenter Interpretation habe ich zuletzt die beiden weithin bekannten Hymnen von dem Mädchen Apālā bzw. dem Knaben und seinem Wagen gelesen (RV 8.91 und 10.135). Meiner Analyse zufolge kommunizieren sie auf poetische Weise, wie Apālā zum ‚Sohn‘ ihres sohnlosen Vaters erklärt wird bzw. wie der Knabe – Yama – sich nachträglich der Patrilinie seines Vaters zuordnen lässt. Erstere Deutung erscheint in der diesjährigen Ausgabe der ZIS, letztere werde ich im September auf dem DOT vorstellen. Als nächstes möchte ich die Hymne von dem Vergehen gegen den Brahmanen (RV 10.109) in den Blick nehmen, wo – so meine derzeitige Hypothese – die Korrektur eines Opfers thematisiert wird, das die wahre Deszendenz eines noch nicht geborenen Kindes hätte offenbaren sollen.